
Rapper Disarstar im Interview, Foto: Eric Anders
In der Artist Feature Serie stellen wir euch regelmäßig interessante Musik-Künstler vor. Grundlage des „Artist Feature“ sind 15 Fragen, von denen einige immer gleich und einige individuell sind. In der 100. Episode dreht sich alles um Disarstar.
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Liebe Freunde, heute feiern wir die 100. Episode der „Artist Feature“ Serie! Wir begrüßen Disarstar, mit dem ich mich vor gut sechs Wochen in einem Café in Hamburg St. Pauli zum Interview traf. Ein Gespräch, das mich nachhaltig beeindruckt und bewegt hat.
Der Hamburger Rapper hat mit seinen jungen 20 Jahren bereits eine ganze Menge durchgemacht. Mit seinen ersten Mixtapes erlangte er bereits früh eine respektable Bekanntheit, hatte allerdings mit schweren Alkohol- und Drogenproblem zu kämpfen, die ihm oft auch Probleme mit der Staatsmacht einbrachten. Doch anstatt sich aufzugeben und seinem Schicksal zu ergeben, vollzog Disarstar einen radikalen Wandel und wagte einen Neustart.
Wir sprachen mit Disarstar über Konflikte mit dem Gesetz, sein politisches Engagement in der linken Szene, harte Schicksalschläge und vieles mehr.
Interview mit Disarstar
Moin und herzlich Willkommen zum Interview – wir freuen uns, das du dabei bist!
Disarstar: Danke für die Einladung – ich freue mich auch.
Dann fangen wir doch gleich mal an: Wo in Hamburg gehst du gerne essen? Hast du eine Art Lieblingslokal?
Disarstar: Ich esse leider viel zu viel Fast Food und bin eigentlich auch gar nicht so der Typ, der oft in Restaurants geht. Ich fühle mich in schicken Restaurants oft fehl am Platz und natürlich ist es auch ein monetäres Ding. Wo ich gerne hingehe, ist der Imbiss „Asia Quick“ in der Schanze, da bin ich sehr oft. Dazu dann noch die klassischen Fast Food Ketten, die ich aus politischer Überzeugung aber eigentlich boykottieren müsste.
Und was ist deine Leibspeise?
Disarstar: Ich mag die klassische deutsche Küche total gerne, z.B. Gulasch. Idealerweise wird das ganze von meiner Oma zubereitet, die hat das nämlich total drauf.
Spielt eine gesunde Ernährung eine wichtige Rolle für dich?
Disarstar: Ich mache nebenbei viel Sport, von daher ist das Thema Ernährung ganz allgemein schon sehr wichtig für mich. Allerdings ist mir das mit Low Carb viel zu anstrengend und zu kompliziert. Ich trainiere momentan eher auf Masse und achte nicht so sehr darauf, bestimmte Sachen nicht zu essen. Von daher gönne ich mir eigentlich fast alles, achte aber schon darauf, bestimmte Sachen auf jeden Fall zu essen. Vor dem Schlafengehen z.B. Magerquark und morgens Eiweißhaltige Sachen wie bspw. 10 Ei-Klar, damit mein Körper genug Proteine aufnimmt.
Welches Buch hast du zuletzt gelesen?
Gute Frage, denn ich ich lese total gerne Bücher. Das tolle beim Lesen ist, das du dir im Kopf eine eigene Welt konstruieren kannst. Wenn ich mir zuerst das Buch durchlese und danach den Film anschaue bin ich meistens enttäuscht, weil mir der Film immer ein bestimmtes Bild aufzwingt.
Was ich momentan mehr oder weniger konsequent lese ist „Wolkenatlas“ von David Mitchell, was ziemlich komplex ist. Ich hab das noch nicht ganz durchblickt. Davor habe ich „Der Alchemist“ von Paulo Coelho gelesen. In dem Buch geht es darum, seinen eigenen Weg im Leben zu finden und nicht kurz vor dem Ziel aufzugeben. Für mich war das sehr inspirierend, weil ich mich vor nicht all zu langer Zeit für die Musik entschieden habe und das mit vielen großen Risiken verbunden ist, mit denen ich im Kopf zurechtkommen muss.
Ein anderes Buch, das mir auch richtig gut gefällt ist „Siddharta“ von Herrmann Hesse. Wenn man das Buch konzentriert liest und wirklich mal verinnerlicht was drin steht, bekommt man einen anderen Blick auf sich und die Welt. Ganz starkes Buch!
Was geht an Silvester bei dir? Halli Galli oder eher ruhig?
Ich habe im Juni des letzten Jahres aufgehört zu trinken und mich dafür entschieden, an Silvester lieber entspannt zu feiern. Auch einfach aus dem Grund, weil man sich ja immer total viel vornimmt und am Ende dann meistens doch enttäuscht ist, weil man zu hohe Erwartungen hatte.
Das letzte Silvesterfest habe ich deshalb zusammen mit meinem besten Freund gefeiert. Der hatte auch total Bock drauf mal auf entspannt ins neue Jahr zu kommen. Wir haben uns was zu essen gemacht, waren um Mitternacht auf dem Balkon und haben den Rest des Abends ganz entspannt zuhause gechillt.
Kommen wir mal zu deinen Wurzeln. Du stammst aus Hamburg und bist hier in den nördlichen Stadtteilen aufgewachsen, richtig?
Ja, das stimmt. Ich habe im Norden von Hamburg in Niendorf und Schnelsen gewohnt, war aber auch immer viel in anderen Stadtteilen unterwegs. In Langenhorn bin ich zur Schule gegangen, hatte aber auch in Eidelstedt viele Kollegen, weil ich da auch mal zur Schule gegangen bin. Eine Weile war ich an den Wochenenden eigentlich nur in Eidelstedt unterwegs.
Wie hast du zur Hip-Hop Kultur gefunden?
Ich habe eine ältere Schwester, über die ich in jungen Jahren schon viel mitbekomme habe. Mit zehn, elf Jahren bin ich dann auch mal alleine losgezogen und habe mir die Alben von Eminem, D12 usw. angehört. Später dann auch die etwas älteren Sachen von Leute wie Eko und Samy.
Rap-Musik hat mich direkt geflasht und so ist es auch bis heute geblieben. Rap kann dir ein konkretes Gefühl vermitteln. Auch wenn du die Texte nicht verstehst, fühlt man es irgendwie und das hat mich von Anfang an total fasziniert.
Wann folgte der Entschluss, das du auch rappen möchtest?
Das hat sich so entwickelt, weil ich mich ziemlich schnell für Deutschrap interessiert habe und mich das einfach angefixt hat. Über einen damaligen Klassenkollegen, dessen Vater ein großer Rap-Fan ist, bin ich immer an die neuesten Sachen gekommen. Sich die Sachen im Internet einfach runterladen ging damals noch nicht so gut, aber ich konnte ihm hin und wieder meinen MP3-Player mitgegeben und war somit immer auf dem Laufenden.
Einen großen Anteil hatte auch ein damaliger Nachbar von mir, der damals schon gerappt hat. Ich habe dann irgendwann angefangen eigene Texte zu schreiben und die ersten Sachen mit einem Headset aufzunehmen. Rückblickend betrachtet war das natürlich alles noch ziemlich schlecht, aber so war das halt damals (lacht). Mit 14 habe ich dann meinen ersten Song im Studio aufgenommen. Das war zwar auch ein Home-Studio, aber von der Qualität her schon deutlich besser als mit dem Headset. Seit Anfang 14 bin ich kontinuierlich dabei.
Schaut man sich deine Biographie an, dann stellt man fest, das du ab diesem Alter auch sehr oft mit dem Gesetz in Konflikt gekommen bist. Wie bist du damals in den kriminellen Strudel reingeraten?
Das ist eine längere Geschichte, da muss ich jetzt ein wenig ausholen. Vieles davon hat mit meiner Familiensituation zu tun. Du musst wissen, das mein Vater früher Geschäftsführer einer erfolgreichen Firma war. Meiner Familie ging es zu dieser Zeit sehr gut. Doch irgendwann gab es eine große Gesundheitsreform und von dort an ging alles den Bach runter. Die Firma meines Vaters ging pleite und als ich zwölf Jahre alt war, waren wir plötzlich sehr arm.
Mittlerweile hat sich das zum Glück gebessert, aber damals konnte ich das einfach nicht verstehen und war andauernd frustriert. Die Atmosphäre zuhause wurde durch die neue Situation auch immer schlimmer und so habe ich mit zwölf, dreizehen Jahren mehr und mehr auf der Straße rumgelungert. Hinzu kam, das ich damals von einem Gymnasium geflogen und auf einer Gesamtschule gelandet bin, auf der es deutlich ruppiger zuging.
Statt mit eher bürgerlichen Leuten zu chillen, fing ich an mit den Jungs von der neuen Schule rumzuhängen, mit denen ich mich aber sowieso besser verstanden habe. So kam dann eins zum anderen, du gerätst da einfach langsam rein. Es gab die älteren Jungs, die immer ganz tolle Pläne für dich hatten und ich war einer der kleinen Idioten, die dachten, sie sind cool, wenn sie das durchziehen, was die älteren von dir wollten.
Wie ging es dann weiter?
Zu der Zeit haben wir uns oft am Bahnhof Niendorf Nord getroffen. Dort fährt der 21er Bus durch. Der kommt aus dem Stadtteil Osdorf im Westen Hamburgs und fährt dann nordwärts durch Lurup, Eidelstedt und Schnelsen bis nach Niendorf. Das sind allesamt eher schwierige Stadtteile in Hamburg. Ja und Niendorf Nord war damals der Spot, an dem sich alle aus diesen Stadtteilen getroffen haben, die gerne draußen rumhingen.
Es war einfach keine gute Situation. Wir haben viel gesoffen, trugen jede Menge Frust in uns rum und haben uns darüber profiliert anderen Leuten auf die Fresse zu hauen. Mit 14 ging es dann los, das ich ganz verrückte Sachen gemacht habe. Überfälle, Taxis ausrauben, Leute abziehen, Prügeleien und so was. Einfach ganz bekloppte Sachen, über die man sich in dem Alter aber einfach noch keine Gedanken gemacht hat. Es ist gar nicht mal so, das ich damals irgendein skrupelloser Typ war – ich war mir nur einfach über die Konsequenzen nicht im klaren.
Die Hemmschwelle solcher Überfälle war extrem niedrig. Was konnte mir schon großartig passieren? Man dachte sich halt, ja okay, dann werde ich halt festgenommen und sitze ein paar Stunden in der Zelle. Was solls? Das war sowieso daily business an jedem zweiten Wochenende. Was das für langfristig Auswirkungen haben kann, war mir damals noch gar nicht bewusst.
Es gab Situationen, da haben wir uns wegen den kleinsten Nichtigkeiten geprügelt. Manchmal auch völlig grundlos, das lief wie von selbst ab. Wir waren mit uns selber unzufrieden, zuhause war alles schwierig, wir waren völlig orientierungslos und nur von orientierungslosen Jungs umgeben. Es gab nicht viel, auf das man stolz sein konnte. In der Schule lief sowieso nichts und so hat man sich andere Wege gesucht, um Selbstwertgefühl zu tanken.
Ich glaube das ist auch der Grund warum Jugendliche kriminell werden. Es hat grundsätzlich etwas mit Selbstwertproblemen zu tun. Wenn sie auf geradem Weg nicht Fuss fassen und in solche Kreise geraten, dann kommt eines zum anderen. Du merkst dann, das du Selbstwertgefühl auch auf anderen Wegen tanken kannst, als über die Schule und sportliche Erfolge. Viele trauen sich aufgrund einer niedrigen Frustrationstoleranz auch gar nicht mehr zu, sich einer sportlichen Herausforderung zu stellen. Es ist viel bequemer und einfacher auf der Straße rumzulungern und wenn dich dann alle dafür feiern, das du jemanden auf die Fresse gehauen hast, dann tankst du dadurch automatisch Selbstwertgefühl. Es pusht dich.
Ich habe diese Zeit irgendwann hinter mich gelassen. Es ist ein Teil von mir, aber es ist nichts womit ich mich brüsten möchte. Es kommt auch kaum noch in meinen Songs vor. Ich denke mir mittlerweile: Was habe ich den Menschen bloß angetan? Wie kann das einen Menschen nachhaltig verändern, was wir denen damals teilweise angetan haben? Das kann deren ganzes Leben beeinflussen. Selbst in Zeiten, in denen es eigentlich gut lief, habe ich Leuten auf die Fresse gehauen und mir dadurch immer wieder selbst ein Bein gestellt. Ich denke, das hatte damals auch viel mit Selbstdemontage zu tun.
Wie hast du aus dem Strudel der Gewalt wieder rausgefunden?
Das ist noch gar nicht so lange her. Seit zwei Jahren bin ich da komplett raus. Es war so, das vor vier Jahren das Jugendamt zu uns nach hause kam, ich war damals 16 Jahre alt. Es ging um Anzeigen gegen mich und so was. Bei diesem Termin haben sie gemerkt, das ganz viele Dinge bei mir zuhause schief laufen. Infolgedessen haben sie mich da rausgeholt und mir einen Sozialarbeiter zur Seite gestellt. Gefährdung auf Kindeswohl nennt man das glaube ich. Über den Sozialarbeiter habe ich dann eine eigene Wohnung bekommen.
Hat sich das damals positiv für dich angefühlt oder wolltest du lieber zuhause bleiben?
Nein, das war ein total gutes Gefühl zuhause rauszukommen. Ich hätte wohl auch meinen Realschulabschluss nicht geschafft, wenn ich bei meinen Eltern geblieben wäre. Leider ging dann trotzdem erst einmal alles so weiter wie bisher. Das lag auch daran, das ich zu der Zeit einfach viel gesoffen und gekifft habe – teilweise drei, vier Joints am Tag. Aber dadurch, das ich jetzt eine eigene Wohnung hatte, in der mich niemand nervt, bestand gar nicht mehr die Notwendigkeit ständig draußen rumzulungern. Ich konnte mich mehr auf meine Musik konzentrieren. In dieser Zeit entstand auch die „Endstation EP“.
Trotzdem habe ich ab und an noch draußen rumgelungert und so sind immer auch wieder üble Sachen passiert. Mit Mitte 17 gab es dann eine Situation, wo ich jemanden wirklich schlimm verprügelt habe. Da sind mir komplett die Lichter ausgegangen, so etwas habe ich vorher auch noch nie gemacht. Infolgedessen habe ich auch eine Bewährungsstrafe bekommen. Das war ein deutliches Signal für mich. Ich bekam Angst, weil ich auf keinen Fall in den Knast gehen wollte.
Alle tun immer so, als könne man die Zeit im Knast locker überstehen, aber es ist nicht so. Einige meiner Kollegen saßen wegen den beklopptesten Sachen zwei, drei Jahre drin und als die draußen waren, waren sie einfach nicht mehr die alten. Selbst wenn du in Jugendhaft bist, was eigentlich ganz entspannt ist, hast du danach einfach einen Knacks. Die Zeit im Knast verändert dich und ich hatte große Angst davor, das mir das auch passiert. Ich wollte das auf jeden Fall verhindern, weil ich die Zeit im Gefängnis nicht ausgehalten hätte.
Meine Bewährung lief zwei Jahre auf sechs Monate. Das bedeutet, wenn ich in diesen zwei Jahren auffällig geworden wäre, hätte ich für sechs Monate ins Gefängnis gehen müssen. Das hat gewirkt. Man kann sagen, dass das Rechtssystem in diesem Konflikt bei mir pädagogisch gefunkt hat. Der Gedanke daran, ins Gefängnis gehen zu müssen, hat mich von dem ganzen Scheiss immer wieder abgebracht und so kam ich tatsächlich langsam davon weg.
Infolgedessen habe ich auch gemerkt, wie primitiv unsere ganzen Aktionen eigentlich waren. Das hat dem ganzen dann auch einfach den Sinn genommen. Ich habe mich selbst refelektiert und gefragt „Wieso haust du den Leuten auf die Fresse? Was machst du mit diesen Menschen? Warum läßt du dich provizieren?“ Ich wollte irgendwann einfach nicht mehr so sein.
Das ist dann wohl auch der beste Weg, wenn man von selbst drauf kommt oder?
Ja, auf jeden Fall. Ohne diese Einsicht geht es nicht. Ich hatte zum Glück auch einen sehr kompetenten Sozialarbeiter, dem ich einiges verdanke. Ein super Typ, dem man auch wirklich abnimmt, was er dir erzählt. Insgesamt hat er mich drei Jahre betreut – oft auch über die eigentliche Arbeitszeit hinaus. Das war wie eine Therapie. Ich hatte unglaublich großes Glück. Ohne ihn wäre ich heute sicher ein anderer Mensch geworden – ich bin ihm zu großem Dank verpflichtet.
Mir ist beim Lesen deiner Biographie außerdem noch aufgefallen, das du in der linken Szene politisch aktiv bist. Wie hat sich das ergeben und in welchem Maße engagierst du dich?
Das kommt immer so in Schüben. Es gibt Zeiten, da bin ich etwas weniger unterwegs und es gibt Zeiten da mache ich etwas mehr. Das fing alles mit meiner ersten EP „Endstation“ an, die ja sehr politisch ist. In den linken Kreisen hat man die EP mit der Zeit wahrgenommen und so kam der Kontakt zustande. Mittlerweile habe ich viele Kollegen und Freunde in der linken Szene kennengelernt.
Was die Demos betrifft: Ich sehe mich als Antikapitalist, Antiimperialist und Antifaschist. Wenn es darum geht, Präsenz zu zeigen, sich gerade zu machen und laut zu sein, dann bin ich schon noch auf den Demos dabei. Von allem anderen halte ich mich aber mittlerweile zurück. Früher war das anders, da stand ich immer in der ersten Reihe und habe keine Auseinandersetzung gescheut. Das ist eh so ein Thema für sich. Ich habe das Gefühl, das es vielen Leuten heute auch nur noch um diese Art der Auseinandersetzung geht und das eigentliche Ziel in den Hintergrund gerät. Mittlerweile ist das nichts mehr für mich. Ich möchte meinen Hauptfokus mehr auf die Musik legen und die Leute aufklären – darin sehe ich meinen künstlerischen Anspruch.
Foto: Eric Anders
Passend dazu: Seit 2010 hast du schon sechs Mixtapes bzw. EPs aufgenommen. Wie sieht eigentlich ein typischer Produktionsprozess bei dir aus? Wie sind die ersten und wie sind die aktuellen Mixtapes entstanden?
Die Abläufe sind noch immer die gleichen wie früher. Es hat sich eigentlich nichts verändert. Ich überlege mir zunächst, was für eine Art von Release ich machen möchte – beispielsweise eine EP oder ein Mixtape. Als nächstes überlege ich mir, welche meiner unveröffentlichten Tracks ich auf das Release packen könnte. Wenn ich so dann die ersten Tracks beisammen habe, überlege ich mir einen Aufhänger für das Projekt. In welche Richtung soll es gehen? Gibt es weitere Tracks aus meinem Archiv, die ich dafür benutzen kann?
Im Anschluss überlege ich mir neue Songs und schreibe diese entweder zuhause oder im Studio bei meinem Produzenten Mohammed Ali Malik. Die Texte schreibe ich nach wie vor selbst. Wenn es allerdings mal an einer Hook oder so hakt, unterstützt mich Mohammed auch mal. Wenn die Texte dann fertig sind, nehme ich sie im Studio auf und so ist dann irgendwann auch das Release fertig.
Mittlerweile bist du bei ShowDown Records unter Vertrag. Wie kam der Kontakt zustande?
Der erste Kontakt lief über Facebook. Ich hatte zu der Zeit keine richtig E-Mail-Adresse, also hat mir mein A&R (ShowDown Records) einfach eine Nachricht an meine Facebookpage geschrieben. Im ersten Moment dachte ich noch die wollen mich verarschen (lacht), aber als sie mir ein Zugticket geschickt und mich nach Berlin eingeladen haben, wußte ich, das sie es tatsächlich ernst mit mir meinen.
Ich habe dann erst zugesagt und später wieder abgesagt, was auch nicht ganz korrekt von mir war. Aber zu der Zeit habe ich leider noch extrem viel gesoffen und gekokst. Gerade mit Koks hatte ich ein massives Problem. Ich war völlig verballert und habe mir nicht zugetraut, zu einem Label zu wechseln. Ich hatte Angst es nicht zu schaffen und dachte, das ich dann ganz mit der Musik aufhören würde, wenn ich es nicht schaffe.
So ging es einfach nicht weiter. Zum Glück habe ich kurz darauf einen Entzug gemacht. Das war eine extrem harte Zeit, doch danach kam ich wieder klar mit meinem Leben. Was die Musik angeht, habe ich dann erst einmal Solo weitergemacht und das „Herr meiner Sinne“ Mixtape veröffentlicht. Nach dem Release kam mein A&R noch einmal auf mich zu und meinte, das die Tür nach wie vor offen steht. Ich bin ein paar mal nach Berlin gefahren und so kam eins zum anderen. Bei ShowDown hatte ich von Anfang an das Gefühl als Künstler verstanden zu werden und so hat es im zweiten Anlauf dann auch geklappt.
Sind weitere Releases für 2014 geplant?
Einen Termin kann ich noch nicht nennen, aber es kommt in 2014 auf jeden Fall noch eine EP.
Dieses Jahr konntest du zum ersten Mal deine Musik auf dem splash! beim Showdown Showcase präsentieren. Wie hast du die Stimmung wahrgenommen? Hattest du mit Nervosität zu kämpfen?
Ich bin generell jemand, der sehr stark mit Lampenfieber zu kämpfen hat. Meine Nervositätsprobleme habe ich früher mit Alkohol kompensiert, aber ich trinke ja nicht mehr. Dementsprechend war ich im Vorfeld extrem nervös, aber zum Glück hat alles gut geklappt. Ich hoffe den Leuten hat es auch gefallen und ich darf im nächsten Jahr wiederkommen.
Nur mal am Rande: Ich wollte irgendwann mal wissen woher das mit dem Lampenfieber eigentlich kommt und bin auf den „The Doors“ Sänger Jim Morrison gestoßen. Der war am Anfang seiner Karriere auf Konzerten so aufgeregt, das er seinem Publikum nur den Rücken zudrehen konnte. Das hat mich irgendwie beruhigt, das es einem richtigen Weltstar noch schlechter ging als mir (lacht).
Auf dem aktuellen AchtVier Album „Wohlstand“ bist du als Featuregast auf dem Track „Alles klar“ dabei. Wie kam der Kontakt zustande?
Mit 16 habe ich AchtVier gefragt ob wir einen Song zusammen machen können. So korrekt wie er damals war, hat er das auch gemacht – obwohl er es eigentlich gar nicht nötig gehabt hätte. Wir haben uns zu der Zeit auch ganz gut verstanden und so kam der Song dann zustande. In den letzten Jahren hatten wir etwas weniger miteinander zu tun, bis er dann Anfang des Jahres den Song nochmal auf seiner Facebookpage gepostet hat.
Das bekommt man natürlich mit und so hatten wir dann wieder etwas mehr Kontakt. Mittlerweile sind wir gute Kollegen geworden und so war es dann auch keine Frage, ob wir uns bei einem Track gegenseitig unterstützen oder nicht.
AchtVier & Disarstar – „Ich war so jung“ (2011)
Kannst du aktuell von der Musik leben oder machst du nebenbei noch etwas anderes?
Ich kann von der Musik mehr oder weniger leben – wie gut ist halt die Frage. Ich bekomme es schon irgendwie hin, aber ich möchte auch nicht immer so extrem aufs Geld gucken, da fühle ich mich nicht wohl bei. Deswegen sehe ich immer zu, das ich nebenbei noch arbeite. Das sind dann Jobs auf 400-600 EUR Basis. Das mache ich auch deswegen, um mal einen Ausgleich zu meiner Musik zu bekommen.
Die Musik läßt mich nämlich nie los. Ich wache morgens auf und denke an meine Mucke und genau so ist es auch, wenn ich abends ins Bett gehe – es ist nie richtig Feierabend für mich. Ich finde es wichtig, wenn man darüber hinaus noch einen Ausgleich findet.
Gibt es noch weitere Dinge, mit denen du dich gerne ablenkst?
Ich mag Fußball total gerne und versuche auch so gut es geht auf dem Laufenden zu bleiben. Für mich ist Fußball wie ein Lichtblick in einer düsteren Welt – ich beschäftige mich gerne damit. Ich hab früher selbst noch viel gespielt und mache das heute ab und an mit meinen Kollegen auch noch. Gummiplatz und so, bloß das wir heute nach jedem Sprint irgendwie eine rauchen müßen – das war damals nicht so, da hat man fünf, sechs Stunden durchgepowert (lacht).
Eine Frage, die ich immer ganz gerne den Leuten aus Hamburg bzw. dem norddeutschen Raum frage: HSV, FC St. Pauli oder Werder Bremen? Welche Mannschaft steht dir am nächsten?
Also ich muss es einmal ganz deutlich sagen und hoffe, das ich mir damit keine Feinde mache: Ich halte überhaupt nichts von diesem Fußballfaschismus und bin auch dagegen, Fußball in seiner Form zu politisieren. Wenn man sagt, alle HSV Fans seien rechts oder alle St. Pauli Fans sind links, dann ist das einfach falsch. Es gibt auch beim HSV linke Ultra-Gruppierungen und guck dir mal an wieviele Yuppies mittlerweile lifestylemäßig im St. Pauli Stadion rumlaufen und da auf Fan machen. Das ist für mich Pseudo Kult.
Wenn du mich nach meinem Lieblingsverein fragst, muss ich sagen, das ich mich mehr als HSV Fan sehe. Das hängt auch damit zusammen, das ich früher immer viel mit meinem Opa bei den HSV-Spielen war und eine ganze Menge mitbekommen habe. Von daher fühle ich mich eher dem HSV zugehörig. Das hat zwar in der letzten Zeit immer ziemlich weh getan, aber was solls. Zum Glück ist jetzt Beiersdorfer wieder da, ich hoffe das mit dem wieder was geht.
Also eher HSV auf jeden Fall, aber ich solidarisiere mich genauso mit St. Pauli. Ich mache da einfach kein großes politisches Ding draus. Ich finde es auch total albern, kein HSV-Fan sein zu können, bloß weil ich eine linksgerichtete politische Gesinnung habe. Meine politische Einstellung wird sich nicht ändern, bloß weil ich mich dem HSV zugehörig fühle. Was die Rivalität betrifft: Wenn die Jungs Bock haben auf den Acker zu gehen und sich die Köpfe einzuschlagen, dann sollen sie es meinetwegen machen. Ich kenne auch ein paar Jungs von St. Pauli und Bremen, die auf so etwas Bock haben und immer dabei sind. Was ich davon halte ist egal – sollen sie es doch machen, die sind alt genug. Aber wenn man dem ganzenen einen politischen Mantel gibt und Leute mit reinzieht, die dieses Spiel nicht mitspielen wollen, dann finde ich das einfach albern, das muss nicht sein.
Ich finde Fan von dem einen Verein zu sein schließt nicht aus, auch den anderen Verein gut zu finden. Ich liebe Hamburg, liebe den Charme der Leute und die Stadt. Deswegen bin ich für die Vereine dieser Stadt.
Foto: Eric Anders
Zum Abschluss haben wir noch ein paar Sätze zum Vervollständigen: Eine Hörspiel-CD über mein Leben sollte gesprochen werden von, …
Dem Typen, der die Synchronstimme von Robert De Niro spricht.
Lustig, das sagen sehr viele.
Ehrlich? Genau das? Dann möchte ich was anderes sagen. Das kannst du auch gerne genau so schreiben (lacht und überlegt)…. nein scheiss drauf, ich bleib dabei. Die Stimme ist einfach mega krass.
Fünf Minuten, bevor die Show losgeht, …
Bekomme ich Bauschmerzen und eine gewisse Vorfreude macht sich breit.
Dort, wo ich herkomme, ist das wichtigste, …
… das die Leute sich respektieren und alle Ethnien und Kulturen es irgendwie schaffen, friedlich miteinander auszukommen, ohne das es Spannungen gibt.
Letzte Frage: Bevor wir uns getroffen haben, was hast du da gemacht?
Bevor wir uns getroffen haben, habe ich einen Text überarbeitet, den ich vorgestern Abend geschrieben habe.
Vielen Dank für das Interview!
Sehr gerne. Ich rede sehr gerne. Hat Spaß gemacht, mal alles in Ruhe zu erzählen. (lacht)
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