Foto: (c) Marcelo Graciolli/Flickr.com
In Brüssel wurde heute das neue Gesetz zur „Netzneutralität“ verabschiedet. Es gilt für den gesamten EU-Raum und beinhaltet jede Menge Hintertüren und schwammige Formulierungen, die es DSL-Providern wie der Telekom in Zukunft ermöglichen, die Datenströme bestimmter Inhalte-Anbieter zu bevorzugen.
Zahlt z.B. Vimeo.com keine Extra-Gebühr an die Telekom und YouTube hingegen schon, könnte es sein, das ihr als Telekom-Kunde in Zukunft nur noch HD-Inhalte von YouTube ruckelfrei sehen könnt. Möglich ist das durch besonders schwammige Gesetzestext-Formulierungen und Ausnahmeregelungen wie Zero-Rating. Hierbei handelt es sich um Dienste, deren Nutzung vom monatlichen Datentransfervolumen ausgeklammert wird, die Anbieter also dafür bezahlen. Für kleinere Start-Ups, die viel Traffic für ihren Dienst benötigen, könnten ganz dunkle Zeiten anbrechen.
Bürgerrechtsorganisationen, Internetfirmen wie Facebook, Google und Microsoft, Risikokapitalgeber und die Landesmedienanstalten haben sich bis zuletzt für die Netzneutralität eingesetzt, doch es half nichts. Kombiniert wurde der Entwurf übrigens mit einem Gesetz zur Abschaffung der Roaming-Gebühren, dessen Ende eigentlich schon für 2015 beschlossen wurde, im letzten Moment aber – oh Wunder – Schrittweise auf 2017 verschoben wurde. Da haben die Interessenvertreter der Telekommunikationskonzerne ganze Arbeit geleistet.
Foto: (c) Frank Mago/Flickr.com
Möglich ist das nur, weil im EU-Parlament inkompetente Leute wie wie Günther Oettinger sitzen, für den Netzneutralität „irgendwas Taliban-artiges ist“ und sich scheinbar derart beeinflußen lassen, das sie dieses gefährliche Gesetzt mittragen. Jan Philipp Albrecht von den Grünen bezeichnete den Ausgang der Abstimmung als „schwarzen Tag für die Digitalpolitik in Europa“.
Wer sich tiefer informieren möchte: Den besten und verständlichsten Artikel zu diesem Thema habe ich bei der „Welt“ gefunden. Auch der Kommentar von Patrick Beuth in der „Zeit“ ist lesenswert, ebenso der Artikel in „Wired“ und auf Netzpolitik.org.
Update 29.10.15: Das ging fix: Einen Tag nach dem EU-Beschluss legt die Telekom bereits einen Businessplan vor, wie sie Start-ups künftig zur Kasse bitten wil.
Zum Schluss habe ich hier noch ein Erklävideo sowie ein Statement von Tim Berners-Lee, der als Erfinder des WWW-Standard gilt.
„Das World Wide Web hat sich zu einer machtvollen und universellen Plattform entwickelt, weil ich es als offenes Netzwerk aufbauen konnte, das alle Datenpakete gleich behandelt. Dieses Prinzip der Netzneutralität hat dafür gesorgt, dass das Internet seit seiner Entstehung ein freier und offener Raum geblieben ist. Falls der Entwurf der Verordnung in seiner jetzigen Fassung beschlossen wird, sind Innovation, freie Meinungsäußerung und Privatsphäre sowie Europas Fähigkeiten, in der digitalen Wirtschaft eine führende Rolle zu spielen, bedroht“.
In den USA wurde ein Gesetz zur Neuregelung der Netzneutralität übrigens im letzten Moment verhindert – dank einer groß angelegten Protestwelle, die landesweit immer mehr Unterstützer fand.
Foto: (c) Joseph Gruber/Flickr.com
Reaktionen zur Gesetzänderung auf Twitter:
Das Europaparlament hat umstrittenes Gesetz zur #Netzneutralität beschlossen. Wenn jetzt das Zwei-Klassen-Interne… pic.twitter.com/t00pMSUDVe
— extra3 (@extra3) 27. Oktober 2015
Die Abschaffung der #Netzneutralität ist eine Katastrophe. Mein Interview auf @NDRinfo https://t.co/V8KbRkw8RS
pic.twitter.com/YZFGRkKhc0
— Konstantin v. Notz (@KonstantinNotz) 27. Oktober 2015
Schwerer Schlag gegen #Netzneutralität im EU-Parlament. CDU an vorderster Front. So stimmten die deutschen Parteien: pic.twitter.com/eVSLBAbSJD
— Sven Giegold (@sven_giegold) 27. Oktober 2015