Einen Tag nachdem sich wieder unzählige Männer am Vatertag ins Dilirium getrunken hatten, wurde im Herzen von Berlin-Friedrichshain weiter kräftig am Rad gedreht. Die Tapefabrik war angesagt.
Das Event ging in seine mittlerweile sechste Ausgabe und nach fünf erfolgreichen Veranstaltungen im Wiesbadener Schlachthof zog es die Veranstalter diesmals ins Astra Kulturhaus in Berlin. Das Line-Up wußt geohnt zu überzeugen und das, was man erwarten konnte: Ein Mix aus frischen Newcomern, Lokalhelden, Geheimtipps und bereits etablierte Künstler, die teilweise schon bei den vorherigen Veranstaltungen dabei waren. Ein Aufgebot an Acts für Kenner, würde ich zusammenfassend sagen. Die Besucher waren bunt gemischt und alle Generationen der urbanen Szene feierten friedlich (manchmal etwas zu friedlich) nebeneinander und erzeugten eine angenehme, ungezwungen Stimmung. Wie es sich für Berliner eben gehört. Hier folgt nun mein Bericht geteilt nach Bühnen:
Main Stage
Alle Acts wurden von JuseJu anmoderiert, der mit seinen Qualitäten voll überzeugen konnte und sich an diesem Abend den Titel Animateur verdient hat. Alleine deshalb: Gute Wahl.
Die Berliner Atze MC Bomber (Artist Feature #115) machte meinen persönlichen Opener und verfrachtete mich zurück ins Jahr 2001 – direkt neben die Sekte, Beatfabrik und Westberlin Maskulin. Das Publikum reagierte erwartungsgemäß: Heimvorteil ausgespielt!
Es folgte Fatoni (Artist Feature #89), der selbsternannte „beste Rapper“, der sich erst mal wie sein Vorgänger kräftig über den Sound beschwerte. Ich für meinen Teil habe diese technischen Probleme nicht mitbekommen. Entweder haben die Künstler allesamt einen guten Job gemacht oder mein Gehör hat in den letzten Jahren ziemlich nachgelassen. Zurück zum Auftritt: Ich will Fatoni seine technischen Fertigkeiten und Live-Qualitäten nicht absprechen, aber seine gesamte Attitüde war mir etwas zu ignorant.
Weiter ging es mit Prezident, dessen aktuelle EP „Handfeste“ und der darauf enthaltene dunkle Sound einer DER Überraschungen für mich aktuellen Jahr ist. Dementsprechend hoch waren meine Erwartungen an seinen Auftritt. Der Wuppertaler kam nicht alleine, sondern hatte die Jungs von Kamikazes mit im Gepäck. Prezident hatte teilweise etwas von einem verrückten Genie, der manchmal nicht genau wusste, wie er seine überschüssige Energie in etwas Produktives umwandeln konnte. Die Ergebnisse waren ein ständiges hin und herlaufen, kurze Verschnaufpausen auf dem Sofa und viel wirres Zeug.
Mit Damion Davis folgte ein krasser Kontrast. Generell: Damion ist gerade Live ein echtes Fest für die Augen und Ohren! Es dominieren die drei großen „R“: Rap, Rock, Reggae. Es wird gerappt, gesungen und gescreamt. Damion interagiert mit dem Publikum wie kein Zweiter in der Deutschrap-Szene. Mal springt er in die Crowd um dort zu cyphern, mal holt er das Publikum auf die Bühne und zum krönenden Abschluss wird dann noch gestagedived. Mit Damion kann man als Veranstalter und Konzertgänger nichts verkehrt machen.
Ähnlich souverän, nur eben ganz anders, ging es mit Mädness (Artist Feature #108) und seinem Bruder Döll (Artist Feature #96) weiter. Das letzte Mal habe ich den Hessen 2010 auf dem Time2Bomb-Festival in Frankfurt gesehen. Und auch fünf Jahre später hat sich an den Live-Skills von Mädness, über den Staiger sagt, dass er der beste Rapper der Welt wäre, nichts verändert. „Der Gude“ brachte seine redefreudige und gesellige Art auf die Berliner Bühne. Einer lustiger und etwas extrovertierter Auftritt, der durch die wilde und hungrige Art Dölls abgerundet wurde.
An meiner Meinung über JAW hat sich seit dem Mile of Style 2015 nichts verändert: Eine bewegungsarme Darbietung, die man fast schon als lustlos auffassen könnte. Fun Fact: Der Veranstalter mutierte kurzerhand zum DJ.
Von Act zu Act stieg die Stimmung. Die Fans werden lauter, ausgelassener, betrunkener. Zu meinem eigenen Bedauern muss ich gestehen, dass ich noch nie in den Genuss gekommen bin, Hiob und Morlockk Dilemma einmal live zu erleben. Der gesamte Auftritt der Beiden wurde von meinen „neandertal-artigen“ Lauten begleitet. Der Auftritt war fast schon ein wenig unfair im Gegensatz zu den restlichen. Zum Schluss kam es dann noch zu einer „Die Bestesten“-Reunion. Vier alte Hasen zeigen, dass sie immer noch nicht zum alten Eisen gehören und mit den Frischlingen mithalten können.
Danach betrat der Secret-Act Edgar Wasser die Bühne und legte eine krasse Show hin. Also wirklich krass. Punchlinegewitter, das deutlich gerappter nicht hätte sein können. Ein absolutes Highlight: Edgar Wasser, JuseJU und Fatoni performen „Übertreib nicht deine Rolle“. Ein Festival aus Skills, Sprüchen und Geflexe.
Zum Schluss noch Schweiss und Radau mit Haftbefehl, der gerade ohnehin quasi eine Festival-Headliner-Tour durchzieht und der Berliner Legende Mach One.
Second Stage
Die große Vorhalle, in der man sich normalerweise kurz zum quatschen trifft, wurde kurzerhand zur Second Stage umgewandelt. Eine Mini-Stage mit wenig Handlungsspielraum. Aus diesem Grund bekamen die Auftritte einen ungewollten Jugendzentrum-Charakter, was nicht zwangsweise unvorteilhaft für die unerfahrenen Nachwuchs-Acts war, die sich entweder hinter ihrer Crew „verstecken“ konnten oder dadurch sogar „gepusht“ wurden.
Etwas „erprobtere“ Künstler wie Takt32, die gesamte 58-Muzik Crew rund um Absztrakkt (Artist Feature #67) und 2 Seiten sowie Blut&Kasse machten keineswegs einen enttäuschten Eindruck, da sie nicht auf der Main Stage spielen durften, sondern zogen ihr Sets professionell durch und bekamen teilweise mehr Zuspruch vom Publikum als sie wahrscheinlich selbst erwartet hatten. Lokalmatador Ufo361 (Artist Feature #97) riss mit MelBeatz (Artist Feature #83) an den Decks und seinem Hit „Bald ist dein Geld meins“ quasi im Vorbeigehen die Bühne ab.
An dieser Stelle will ich noch John Known erwähnen (kurzfristig für eloQuent und Tufu eingesprungen), der mir bis dato noch nichts gesagt hatte, aber durch seine Position als Sichtexot-Member (was sich später als falsch herausgestellt hat) bereits einiges an Vorschusslorbeeren von mir bekam und mich mit seinem Auftritt auch überzeugen konnte. Mit Figub Brazlevic (Artist Feature #88) im Rücken kann fast schon nichts schief gehen.
Wer eine Pause von den Auftritten brauchte, schaute auf einen saftigen Burger bei Golden Burgers vorbei oder schlenderte zum Merchandise- und HHV-Stand.
Bei der Wahl des Bühnenbildes entschieden sich die Veranstalter dafür, mit einigen Möbelstücken ein Wohnzimmer im Retro-Look aus den Stages zu machen. Gute Idee – schlechte Umsetzung. Es wirkte ziemlich lieblos zusammengewürfelt und ähnelte eher einem Stand auf dem Flohmarkt. Die gleiche Idee hatte übrigens auch die Just Live Jam im Februar, die es auch nicht unbedingt überzeugend in die Tat umgesetzt hat.
Fazit
Die Organisation des Festivals war astrein und es gab auch kaum tragische Überschneidungen. Was ich allerdings bemängeln möchte, ist die Tatsache, dass man nach dem Betreten des Geländes dieses nicht wieder verlassen durfte. Ob die Veranstalter oder die Verantwortlichen der Location dies entschieden haben, kann ich nicht sagen.
Auch die Besucherzahl blieb leider unter den Erwartungen. Teilweise kam man sich auf dem Gelände etwas verloren vor. Sicher ein Wermutstropfen nach bis dahin sehr erfolgreichen Jahren. Andererseits aber auch Motivation nun am Veranstaltungskonzept zu arbeiten um in den kommenden Jahren wieder anzugreifen. Berlin ist nun einmal „Arm, aber sexy“ – das heißt, die Leute haben weniger Geld für solche Events. Außerdem halte ich es nicht für besonders klug, das Festival direkt nach dem Herrentag stattfinden zu lassen. Die Tapefabrik zieht eben auch nicht so viele Menschen aus allen Teilen des Landes an wie u.a. das Out4Fame.
Trotzdem: Es hat Spaß gemacht, Tapefabrik! Ich schaue sehr gerne nächstes Jahr wieder vorbei und verkürze mir die Wartezeit auf den Festivalsommer!
Weitere Bilder findet ihr auf unserer Facebook-Seite.
4 Comments
[…] für viele noch ein unbeschriebenes Blatt. Sein Auftritt auf der diesjährigen Tapefabrik (Review) sorgte anfänglich aufgrund von seinem adretten Kleidungsstil für irritierte Blicke, aber seine […]
[…] neben den beiden Hauptprotagnisten von Figub Brazlevič & John Known, die bereits auf der letzten Tapefabrik live zu begeistern wussten, sowie den Produzenten/ DJ’s Wyn Davies Music, Mono Nomads und Daddy […]
[…] Hosting teilten sich der durch die Tapefabrik bereits „moderations“-erprobte JuseJu und Mit-Veranstalter Big Chief, dessen Stimme in echt […]
[…] der Tapefabrik 2015 bin ich zum ersten Mal auf John Known aufmerksam geworden. Auf der Second Stage hat er kurzfristig […]